Wann, wenn nicht jetzt

Michael Rueter • 9. Februar 2022

In 25 Monaten finden die nächsten Europawahlen statt

In 25 Monaten finden die nächste Europawahl statt. Bis dahin stehen wichtige Wahlen in den Mitgliedsstaaten Europas auf der Tagesordnung. Genau der richtige Zeitpunkt um sich über die besten Konzepte, Beispiele und Ideen für die Kommunikation der sozialdemokratischer und fortschrittlicher Kräfte auszutauschen. Wir wollen auf diesem blog auch darüber diskutieren, welche Tools für erfolgreiche Kampagnen und collaborative Arbeitsformen entwickelt und angewandt werden können.

Wir wollen den Kampagnenexpertinnen und -experten in den sozialdemokratischen Parteien und ihnen nahestehenden Organisationen über diesen Blog hinaus eine Plattform anbieten, auf der über gute Ideen diskutiert und Konzepte für die Zukunft erarbeitet werden.

Dabei wollen wir uns von dem Ziel „PES -allways better“ leiten und antreiben lassen. Wir freuen uns auf die spannende Diskussion bei Tagungen und unserem Blog.

Worum geht’s

Wer nur wenigen Minuten in die Zeitung schaut und Radionachrichten hört oder bei Twitter nachschaut, wird sehr schnell zentrale Fragen für die Agenda der kommenden Monate finden:

Wie kommen wir am besten durch die Pandemie?

Wie schaffen wir ein dauerhaftes friedliches Miteinander und eine Welt ohne Kriege?

Wer kann dafür sorgen, dass für gute Arbeit auch gerechte Löhne und für gleiche Arbeit auch das gleiche gezahlt wird?

Wie werden industrielle Produktionsweisen nachhaltiger und tragen besser zum allgemeinen Fortschritt und Wohlstand bei?

Woher kommen die Mehrheiten bei Wahlen für die sozialdemokratischen Ideen und Konzepte, die meist breite Zustimmung genießen – in Europa und in den nationalen Parlamenten?

Und warum fällt es zunehmend schwerer einen sozialdemokratischen Führungsanspruch bei Wahlen in den Mitgliedsstaaten auch in Wahlergebnisse zu übersetzen?

Ein Teil der Antworten liegt sicherlich bei den kommunikativen und v.a. organisatorischen Defizite der letzten Kampagne und Jahre in der sozialdemokratischen Kommunikation. Wir wollen die Kernprobleme identifizieren, gute Praxis, richtige, also erfolgreiche Strategien identifizieren und diese so nutzbar machen, dass wir möglichst viele Schwächen überwinden und Defizite auflösen können.

Es ist entscheidend, dass die drei P`s - Programm, Person und Partei - gut zusammenpassen und ein stabiles Dreieck bilden. Blick man in die jüngere Vergangenheit, war die Sozialdemokratie immer dann erfolgreich, wenn sie gesellschaftlicher Motor und Gestaltungskraft der Moderne war. Das galt sowohl für die programmatische und personelle Aufstellung wie auch für das Auftreten generell. Wer überzeugende Bilder, die passende Sprache und das richtige Momentum gefunden hatte, konnte Wahlen gewinnen. Das galt für Willy Brandt und Olaf Palme genauso gilt es für Sanna Marin und Mette Frederiksen oder Pedro Sanchez und Antonio Costa.

Die programmatische Aufstellung der Sozialdemokratie muss für die Beantwortung bestehender gesellschaftlicher Konflikte nachgeschärft werden, wie z.B. bei der Digitalisierung der Arbeits- und Lebenswelt. Oder wem gehören eigentlich die Daten, die auf digitalen Plattformen privatwirtschaftlich genutzt werden und wer kann die Erkenntnisse für die Entwicklung von Produkten und Technologien gewinnbringend nutzen. Vor allem müssen Konzepte erarbeitet werden, wie die gesellschaftlichen und ökonomischen Schäden der Pandemie überwunden und gelöst werden.

Mit Blick auf die verschiedenen Wahlen brauchen wir klare Antworten auf die strategischen und wahlrechtlichen Herausforderung wie z.B. der Umgang mit einem veränderten Wahlsystem und der sozialdemokratischen Idee der Spitzenkandidatin oder des Spitzenkandidaten gefunden werden. Wer wirklich überzeugend die europäische Idee vertreten und verkörpern will, wir mehr brauchen als einen gemeinsamen SpitzenkandidatIn, der/die dennoch ein wichtiger Ausgangspunkt für eine solche Kampagne ist. Supranationalen Listen heben die europäische Idee auf die Dimension eines Teamgedankens. Beides sind aber nicht nur wahlrechtlich zu lösende Herausforderungen, sondern werden eine viel intensivere Zusammenarbeit der Parteien erfordern, um daraus eine deutliche Stärkung der europäischen Sozialdemokratie zu ermöglichen.

Auch die strategisch-kommunikative Aufstellung muss in den kommenden Monaten genauer in den Blick genommen werden. Wir wollen gute Nachbarn sein und werden, nach innen wie nach aussen (frei nach Willy Brandt).

Wer überzeugende Antworten zur Sicherung des Friedens bei der Verbesserung der Klimapolitik und bei der Bekämpfung von Migrationsursachen leisten möchte, muss auch über intensive und gute Beziehungen zu den europäischen Nachbarn (aussen) arbeiten. Eine Sozialdemokratie, die ihre Verbindung zur Nachbarschaft (innen), zu den Gemeinden wieder neuentdeckt und weiterentwickelt, wird auch für soziale Themen deutlich nahbarer. Vor allem gelingt es besser, den richtigen Sound für die Gespräche mit den Nachbarn zu nutzen und die programmatischen Vorschläge der Sozialdemokratie zu leben und zu übermitteln.

Bei der Entwicklung neuer kommunikativer Ansätze und Methoden muss nicht bei Null angefangen werden, sondern kann auf erfolgreiche Konzepte z.B. SPD in Rheinland-Pfalz, der SPÖ in Wien oder der Partido Sozialist in Portugal, Partido Socialista y Obrero in Spanien und die erfolge der Sozialdemokratie in Nordeuropa angeknüpft werden. Es ist sicherlich ein vernünftiger Weg, die erfolgreichen Modelle und Kampagnen einzelner Mitgliedsparteien der PES aufzugreifen und je nach Bedarf für die jeweiligen nationalen Gegebenheiten anzupassen. Ganz besonders wichtig werden für die nächste Kampagne zur Europawahl die Entwicklung und Implementierung schlagkräftige Tools z.B. für das erfolgreiche Community Management oder für die Daten orientierte Kampagnen.

Kommentar

von Michael Rüter & Dr. Carsten Sieling & Heiko Kretschmer 15. November 2022
Das Bürgergeld, der Bundesrat und Vermittlungsausschuss
von Michael Rueter 3. November 2022
To be or not to be ?
von Michael Rueter 9. Februar 2022
Die CSU und CDU scheinen wirklich das Spiel mit dem Feuer entdeckt zu haben und setzen das Vertrauen, das in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 für Stabilität und Demokratie gesorgt hat, aufs Spiel. Wir haben uns daran gewöhnt, dass der aktuelle bayrische Ministerpräsident dazu neigt, schneller Positionen zu verändern, als mancher Sockenwechsel stattfindet. Bisher hat sich das „Södern“ vorrangig auf kommunikative Auftritte beschränkt. Mit der Ankündigung, das vom Bundestag und Bundesrat (by the way - mit den Stimmen der CDU/CSU Fraktion und Bayern im Bundesrat!) beschlossene Gesetz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht nicht vollumfänglich umzusetzen, verlässt die CSU (mit der CDU als Anhängsel) eine wichtige Vertrauensregel. Bisher galt, der Weg bis zur Beschlussfassung von Gesetzen kann für die politische Auseinandersetzung im Rahmen der demokratischen Gepflogenheiten intensiv genutzt werden. Das gehört zur Meinungsbildung und auch zur Erstellung von guten Gesetzen dazu. Wenn Gesetze einmal von den Verfassungsorganen beschlossen worden sind, gilt es die Umsetzung durch die zuständigen Behörden sicherzustellen. Wenn diese Regeln gelten, können sich auch Bürger:innen, Unternehmen und Verwaltungen darauf einstellen und damit umgehen. Wer nun scheinbar aus fadenscheinigen Gründen laut darüber nachdenkt ( „södert“ ), diese Regeln außer Kraft zu setzen, gefährdet nicht nur, dass das Vertrauen verloren geht, sondern auch die verfasste Demokratie Schaden nimmt. Skurril und wankelmütig wirkt auch der Eindruck, den die CDU (einst eine stolze demokratische Partei) hinterlässt. Es werden alle denkbaren (MP Daniel Günther in Schleswig-Holstein) und undenkbaren (MP Tobias Hans im Saarland) Positionen gleichzeitig vertreten. Es „södert“ und „merzt“ gewaltig bei den konservativen Parteien in Deutschland. Wer so irrlichtert, kann keine Führung und Orientierung beanspruchen. Auch für die Opposition gilt: Wer mit dem Feuer spielt, will offensichtlich nicht an der Gestaltung der Zukunft mitwirken. In Zeiten, in denen sich alle auf die Bewahrung des Friedens und die Bekämpfung der Pandemie konzentrieren sollten, ist kein Spielraum für wankelmütige und riskante Spieler. In Anlehnung an Herbert Wehner mag man den aktuellen Akteuren zurufen: " Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen!" Besser für die Demokratie in Deutschland und Europa wäre es allerdings, wenn das Tor des Abstiegs nicht noch weiter geöffnet wird.
von Michael Rueter 9. Februar 2022
Im Bundesrat sind 69 Vertreter:innen aus den Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland Die Bundesländer entsenden entsprechend ihrer Einwohner zwischen 3 und 6 Vertreter:innen. In der Regel sind die Vertretener:innen Mitglieder der Landesregierungen. (Die Vertreter und das grundsätzliche Abstimmungsverhalten werden in der Regel im Koalitionsvertrag der Bundesländer festgelegt) Der Bundesrat tagt normalerweise 10mal im Jahr. Die Tagesordnung der jeweiligen Bundesratssitzung wird in den Staatssekretärsrunden (jeweils Montags vor dem Plenum) der Länder beraten. Kritische Themen werden in den Kabinetten (jeweils Dienstags) besprochen. In Ausnahmefällen wird die Vertretung im Bundesrat mit einer „freie Hand“ ausgestattet, d.h. bis einschließlich zur Sitzung des Bundesrats können über Details verhandelt werden und Kompromisse vereinbart werden. Das findet meistens in den A,B,G,F Kaminen am Vorabend statt. Alle Tops, die einstimmig in den Ausschüssen behandelt worden sind, kommen nach Beratung des „Ständigen Beirats“ auf die „grüne Liste“. Diese Liste wird zu Beginn des Plenums ohne Aussprache in Gänze abgestimmt. Kein Bundesgesetz kommt zustande, ohne dass der Bundesrat damit befasst war. Viele Gesetze können nur in Kraft treten, wenn der Bundesrat zugestimmt hat. Der Bundesrat kann initiativ Gesetze und Entschliessungen in das Verfahren einbringen. Eine Entschliessung ist eine Art politischer Stellungnahme des BR. Gesetze die durch den BR in das Verfahren kommen, werden der Bundesregierung zugeleitet (diese muss binnen 6 Wochen eine Stellungnahme für den Bundestag abgeben). Der Bundestag entscheidet über die Gesetzesinitiativen des BR. Gesetze der Bundesregierung werden in zwei Durchgängen (Lesungen) im BR beraten. Zustimmungsgesetze benötigen die absolute Mehrheit des BR. Kommt die Mehrheit nicht zustande wird der Vermittlungsausschuss angerufen. Einspruchsgesetze kann die Zustimmung durch den BR verweigert werden. Wenn der Bundestag den Einspruch nicht abwendet, kann das Gesetz im VA behandelt werden. Der Vermittlungsausschuss besteht aus je 16 Vertreter:innen des BR und des BT Die absolute Mehrheit beträgt 35 Stimmen. Aktuell verfügt die vermutlich neue Bundesregierung über „sichere“ Stimmen aus RP (4), HH (3) = 7 Stimmen.Erreichbar sind Stimmen aus Berlin (4), Bremen (3) und Thüringen (4) und MV (3) = 14 Stimmen In den Koalitionsverträgen der Länder ist in der Regel geregelt, dass sich Länder bei „Uneinigkeit“ im Bundesrat enthalten müssen, Länder mit CDU-Beteiligung verfügen mit BW (6), BB (4), HE (5), NI (6), NRW (6), SL (3), SN (4), ST (4), SH (4) über 42 Stimmen. Sollten die Länder mit Linkspartei-Beteiligung sich auch enthalten, kämen mit BE (4), HB (3), MV (3), TH (4) 14 Stimmen dazu. Jenseits der politischen Familien gibt es auch gewachsene Verbindungen die jenseits der politischen Farben wirken auch besondere Interessen der Bundesländer, z.B. „Automobil-Länder“, „Glücksspiel-Länder“, Nord-, Süd- und Ostländer etc. Notwendige Mehrheiten im Bundesrat müssen über eine intensiven Abstimmung mit den Bundesländern und den politischen Familien erreicht werden. Für die neue Bundesregierung wird die Mehrheitsfindung im Bundesrat eine wichtige Aufgaben werden.
von Karin Nink 4. Juni 2018
In einem knappen Jahr wird auch in Deutschland das Europäische Parlament gewählt. Die Führungsgremien der SPD haben gestern Michael Rüter als Leiter der Wahlkampagne bestellt. Starke SPD als Motor für Europa „Europa in einer Zeit weltweiter Umbrüche als Gestaltungsmacht zu stärken und den Kontinent mit einer starken Sozialdemokratie gerechter zu machen“, beschreibt Rüter gegenüber dem „vorwärts“ die Ziele der nächsten Europawahl, die europaweit vom 23. bis 26. Mai 2019 stattfinden wird. „Wir stehen vor großen nationalen und globalen Herausforderungen. Die EU muss ihre Aufgabe als demokratische Kraft in der Welt wahrnehmen können“, sagt er. Dafür sei es wichtig, „dass eine starke SPD sich entschlossen als Motor für ein starkes Europa einbringt“. Rüter ist seit 35 Jahren SPD-Mitglied und widmete sich als junger Juso vor allem der internationalen Arbeit. Vier Jahre lang war er Anfang der 1990er Jahre stellvertretender Vorsitzender der International Union of Socialist Youth (IUSY). 1997 wurde er zum Juso-Bundesgeschäftsführer gewählt, Juso-Vorsitzende war damals die heutige Parteichefin Andrea Nahles. Analyse des Bundestagswahlkampfs Der 54-jährige Sozialwissenschaftler gilt als Organisations- und Veranstaltungsspezialist. Er war – beginnend mit dem Bundestagswahlkampf 1998 von Gerhard Schröder – an verschiedenen erfolgreichen Kampagnen der SPD beteiligt und hat Großveranstaltungen und Wahlkampftouren organisiert. Ein weiterer Schwerpunkt von Rüters Parteiarbeit ist die Weiterentwicklung der organisatorischen Grundlagen für eine moderne Mitgliederpartei. Rüter, der mit seiner Familie in Hannover lebt, hat das Willy-Brandt-Haus in Berlin 2008 verlassen, um SPD-Landesgeschäftsführer in Niedersachsen zu werden. Von 2013 bis 2017 war er Bevollmächtigter des Landes Niedersachsen in der Berliner Landesvertretung. Derzeit analysiert er in einer externen Arbeitsgruppe mit anderen Experten den sozialdemokratischen Bundestagswahlkampf 2017.
von Michael Rueter 3. Dezember 2017
Vorbemerkung: Der Text soll einige Betrachtungen zum Zustand der SPD zusammenfassen und Hinweise und Anregungen liefern, die beim Neuanfang und der Debatte darüber, berücksichtigt werden können. Es geht nicht darum „Akteure für die Niederlage verantwortlich zu machen“, sondern Anregungen für die Diskussion und Arbeit zum Neuanfang zu liefern. Und: Es ist auch keine Anleitung für eine Therapiephase die uns jetzt einige „wohlmeinenden Kommentator_innen“ verordnen wollen. Die Partei - genauer: Die Mitglieder und die „Freunde und Fans der SPD“ [1] brauchen jetzt viel Kraft zum Nachdenken, Auswerten und zum Umsetzen – allerdings haben wir keine Zeit um uns jetzt in eine „Rehaklinik“ oder zu einem Sabbatjahr zurückzuziehen. Spätestens zu den Landtagswahlen in Bayern, Hessen 2018 und zum „Superwahljahr 2019“ mit der Europawahl und vielen Kommunal- und Landtagswahlen muss die Partei verloren gegangenen Boden wieder gut machen. Unabhängig vom Ausgang der Wahlen in Niedersachsen (ich vermute, die gehen gut für die SPD aus! - Aktualisierung siehe unten), wird am Sonntag auch in Österreich gewählt. Vermutlich wird die Sozialdemokratie in Europa dann nur noch in Portugal und Schweden einen Regierungschef stellen. In vielen anderen Ländern Europas - und leider auch international betrachtet - erlebt die Sozialdemokratie zurzeit keinen Höhenflug. Es würde meinen Text (vermutlich auch Autor und Leserr_innen) überlasten, alle Faktoren und Gründe zu benennen und Antworten zu liefern. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass die SPD als international und europäisch denkende und handelnde Partei daher Verantwortung und auch Perspektive hat. Zu internationalen Megatrends müssen auch internationale Antworten gefunden werden, die z.T. und in Ansätzen auch national umgesetzt werden können. Zur aktuellen Agenda gehört daher auch, die internationale Kooperation zu intensivieren und wieder auf ein gesundes Fundament zu stellen. Für die SPD ist die internationale Dimension auch für den organisatorischen und programmatischen Neuanfang sowie zum Gewinnen von Wahlen von zentraler Bedeutung. Die Welt dreht sich weiter und die Geschichte wartet nicht auf uns: Vor, zurück, zur Seite, ran - Herzlich willkommen! Neuanfang! [2] Was ist am 24.09.2017 passiert und warum eigentlich? Die Bundestagswahlergebnisse sind für alle demokratischen Parteien und für unser Land insgesamt wirklich enttäuschend. Gründe, sich über das Wahlergebnis zu freuen, dürften eigentlich die Wenigsten haben. Die Bundestagswahl 2017 bedeutet eine Zäsur für die deutsche Nachkriegsgeschichte. Erstmals seit der Weimarer Republik „sitzen wieder Neonazis im deutschen Bundestag“. [3] Die AfD ist mit 12,6 % drittstärkste Fraktion im Bundestag geworden. Im Osten (ohne Berlin) liegt die AfD durchgängig vor der SPD, in Sachsen ist die AfD sogar Wahlsieger geworden. Die AfD und auch die Linkspartei erringen im Ostdeutschland (mit Berlin) jeweils mehr Direktmandate als die SPD! Die Linkspartei ist, wenn man es so formulieren darf – im Westen angekommen. In ihren „klassischen Hochburgen“ in Ostdeutschland hat die Linkspartei zum Teil deutlich an die AfD verloren. Im Westen v.a. in Bremen und im Saarland hat die Linkspartei aufgrund der Schwäche der SPD deutliche Zugewinne erzielen können. [4] Die FDP hat mit der Reduktion auf den Vorsitzenden und die Reduktion auf eine eindeutige Zielgruppe, ihr Potential ausgeschöpft. Die Schwäche der Union und SPD haben ihr zusätzlich den Wiedereinzug in den Bundestag erleichtert. Inwieweit aus dieser „Ein-Punkt-Bewegung“ ein breiterer politischer Faktor wird, werden wir in den kommenden Wochen nach der Regierungsbildung beobachten können. Ob der Liberalismus mit der FDP wieder eine Heimat im Parlament gefunden hat, kann bezweifelt werden. [5] Die liberalen Wähler_innen kann und muss die SPD auch weiterhin ansprechen und erreichen. Die FDP wird sicherlich mit den Grünen darum ringen, wer der schwächere Partner in der Jamaika-Koalition sein wird. Bündnis 90/Die Grünen waren sicherlich selbst wie fast alle Experten von dem guten Abschneiden bei der Bundestagswahl überrascht. Im Grunde sind die Grünen im Bund, gemeinsam mit FDP und Union die Parteien in Deutschland, für die das Regieren zum Selbstzweck geworden ist. Quasi „Milky Way Parteien“, Hauptsache wir schwimmen oben - egal in welche Richtung. Programmatisch und personell sind die Angebote der Grünen überschaubar. Ohne die Schwäche der SPD, wäre den Grünen im Bund sicherlich der Überraschungserfolg schwerer gefallen. [6] Eindeutiger Wahlverlierer sind - neben der SPD - die Unionsparteien. Selten in der Geschichte hat eine Regierungspartei mehr als 8,6% verloren [7] . Die CDU/CSU haben mit 32,9 ein historisch schlechtes Ergebnis bekommen. Die Unzufriedenheit mit der Regierungsarbeit der Konservativen war schon lange nicht mehr so hoch wie bei dieser Wahl. Mit der Bundestagswahl beginnt auch die Zeitenwende in der Union. Die Ära Merkel und Seehofer neigt sich dem Ende zu. Die Konservativen in Deutschland stehen vor einer Grundsanierung, wie auch die andere deutsche Volkspartei – die SPD. Ob ein Neuanfang in der Regierung leichter zu gestalten ist, oder in der Opposition erfolgreicher gestaltet werden kann, wird die Zukunft zeigen. Wenn Konservative unzufrieden sind und bei Wahlen schlecht abschneiden, könnte es eigentlich gut für die SPD laufen. Es ist leider anders gekommen. Der nachweislich aktivere Teil der letzten Bundesregierung hat gleichzeitig auch mit 20,6% das historisch schlechteste Ergebnis bekommen. Nur noch in Bremen ist die SPD knapp erster nach dem Ergebnis der Zweitstimmen geworden. Nur noch in 7 Bundesländern ist die SPD mit einstelligem Abstand zweiter hinter der Union. In diesen Bundesländern (knapp 50% aller Wähler_innen) erreicht die SPD 24,8 % der Stimmen. In den anderen Bundesländern, die z.T. durch die SPD regiert werden, schneiden wir mit 16,4 % katastrophal ab. [8] In manchen Regionen ist die SPD nur noch dritte, manchmal gar vierte Kraft – noch hinter der AfD. Insgesamt hat die SPD nur noch 59 Direktmandate erzielen können. Die meisten davon in NRW, Niedersachsen, Hessen-Nord und in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg. In manchen Bundesländern, auch in den bevölkerungsstarken Ländern wie Bayern, BaWü und in ganz Ostdeutschland - mit einer Ausnahme in Brandenburg (immerhin ein Direktmandat) gewinnt die SPD KEINE Direktmandate mehr. Das bedeutet schon zum dritten Mal hintereinander hat die SPD Fraktion mehr Listenbewerber in ihren Reihen, als direkt gewählte Abgeordnete! Das Wahlergebnis und die Zusammensetzung der Bundestagsfraktion wird die SPD verändern. Politisch, finanziell und v.a. auch kulturell! Ob aus dem Drama der Bundestagswahl für die SPD eine Tragödie oder eine Komödie mit Happy End und somit schmerzhaftes Lehrstück für das Wiedererstarkten der SPD wird, liegt in unseren Händen. [9] Kurzer Einschub: Die SPD hat leider Erfahrungen - auch historisch – mit schlechten Ergebnissen, insbesondere bei Europawahlen. Manche Strategen sagen, Europawahlen sind zwar keine richtigen Bundestagswahlen, dennoch sind diese Ergebnisse ein guter Gradmesser wie die Partei und Programmatik von den Wähler_innen bewertet werden. Seit 1979 mit dem Spitzenkandidaten Willy Brandt [10] , hat die SPD bei allen folgenden Europawahlen deutlich verloren. (auch in den letzten „goldenen Zeiten der SPD“ - als Gerd Schröder Bundeskanzler war). Absoluter Tiefpunkt war die Europawahl 2009. Damals erreichte die SPD (mit Martin Schulz als Spitzenkandidat) nur noch 20,8%. Ein absoluter Tiefpunkt. 2014 „nur eine Europawahl später“ konnte die SPD mit Martin Schulz (!) wieder deutlich zulegen. Plus 6,5% immerhin. Es geht also, Wahlen - wenn auch "nur" Europawahlen können mit Martin Schulz und dem WBH gewonnen werden! Mit 27,3 % bei der Bundestagswahl 2017 hätten wir uns alle als große Wahlsieger gefühlt. War das SPD Ergebnis am 24.September 2017 eine Überraschung? Ganz eindeutig nein! Zugegeben, ganz so dramatisch haben es viele Strategen nicht erwartet. Dennoch war allen Betrachtenden klar, dass ein Wahlerfolg ausgesprochen unwahrscheinlich war. Zu viele Fehler bei der Vorbereitung, eine stolpernde Kampagne, handwerkliche Fehler und sicherlich auch Pech. Hinterher sind wir immer schlauer – das stimmt zum Glück immer. Es gab allerdings auch einige erfahrene „Campaingner“, Überzeugungstäter_innen und Freunde der SPD, die ihre Unterstützung (ehrenamtlich) angeboten haben um Besseres zu erreichen. Die Angebote wurden nicht alle genutzt - vielleicht hat der Tunnelblick zu früh eingesetzt, oder was auch immer. Ich bin davon überzeugt, dass es zur erfolgreichen SPD dazu gehört - offen und kooperativ mit neuen Ideen und Arbeitsformen umzugehen, close shop ist „old fashion“ und v.a. erfolglos. Auch an der verbreitenden Haltung, dass die jeweils „höhere Ebene“ keinen Plan / keine Ahnung haben (so denkt mancher OV über den UB, einzelne Landräte über die Landtagsfraktion, und ganz wenige Mitglieder in Landesparteien über den Parteivorstand) muss in eine solidarische und kooperative Arbeitskultur verändert werden. Mehr miteinander und weniger gegeneinander! Neue offene und einladende Arbeits- und Kommunikationsformen wie z.B. die Schwarmintelligenz, Nudging und Agile Methoden können die Antworten für heute und morgen sein. Wenn der Bauer nicht schwimmen kann, dann lag es an der Badehose. Ein Reflex der m.E auch kritisch in den Blick genommen werden muss. Das Willy-Brandt-Haus ist nur ein Gebäude, in dem engagierte und sicherlich auch fleißige Menschen arbeiten. Wenn es etwas schiefgeht oder nicht so läuft wie gewünscht, ist es seit einigen Jahren chic nur die "Badehose also das WBH" zu kritisieren und weniger zu hinterfragen, welche Rolle die Badenden selber haben. Ob die Strukturen, Hierarchien und die Arbeitskultur stimmig sind, wurde selten kritisch hinterfragt. Wahlkampf ist in erster Linie Handwerk, klare Hierarchien, Planung, Teamgeist, Motivation, Steuerung, ein gutes Programm und Überzeugungskraft. Erfolg kann im WBH organisiert werden - er muss allerdings entsprechend vorbereitet und umgesetzt werden können. Wie bei einem verlorenen Fußballspiel, wo tausende „Couch-Trainer_innen“ eine bessere Aufstellung und Taktikkonzepte sofort parat haben, ist es auch nach einer verlorenen Wahl. Es gibt sicherlich eine Menge von „Couch-Wahlkampfleitern und Strategen“ die sofort ihre besseren Konzepte und Anregungen vortragen können. M.E muss es jetzt darum gehen, aus den Fehlern zu lernen und den Blick nach vorne zu richten. Es geht auch darum, die innovativen neuen Wahlkampfinstrumente der Kampa 2017 auszuwerten und weiterzuentwickeln. Es gehört allerdings auch dazu, überraschende Wahlkreiserfolge zu analysieren und diese „Best pratice“ Beispiele für andere Wahlkreise zu übersetzen. Also los geht`s: 1. „Nach der Wahl ist vor der Wahl“. [11] Die Vorbereitung einer erfolgreichen Wahlkampagne beginnt am besten mit der Auswertung der gerade zurückliegenden. Die Kampagne darf nicht erst mit der -zu späten - Aufstellung des Spitzenkandidaten beginnen. Die Grundlagen müssen und können am Tag nach der zurückliegenden Wahl begonnen werden. 2. Lasst uns alle „Couch-Wahlkampfleiter“, Strategen und Experten einladen, ihre Hinweise in geeigneter schriftlicher Form (max. 3 -5 Seiten) bis Mitte November an den Parteivorstand zu senden. Interne Ratschläge sind anders als öffentliche- keine „Schläge“. [12] Das „Best of“ kann für einen qualifizierten Auswertungsprozess und manches sicherlich für die Vorbereitung von weiteren Kampagnen berücksichtigt werden. 3. Wie schaffen wir es, dass die Partei - sowohl im Bund, wie aber auch in der Breite - grundsätzlich handlungs- und überzeugungsfähig wird. Das WBH und die professionellen Ebenen in den Ländern müssen in die Lage versetzt und entwickelt werden, permanent Kampagnenfähig zu sein. 4. Es muss zu einer neuen Form der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern kommen. Außerdem brauchen wir auf allen politischen Ebenen eine bessere Kooperation mit dem sozialdemokratischen Umfeld. Dafür ist ein kooperatives und starkes Organisationszentrum von zentraler Bedeutung. 5. Warum hat sich der Spitzenkandidat nach seinem enormen Anfangsschwung unnötig "verzwergt"? Ein Bürgermeister kann eine Menge erreichen und hat wichtiges Verwaltungshandeln gelernt. Aber erwarten wir in Zeiten wie diesen, nicht einen Regierungschef, der auf Augenhöhe mit den anderen Regierungschef_innen in Europa und in der Welt einen Plan für die Zukunft anpackt? Muss der Regierungschef nicht in der Lage sein, mit den "unsicheren Gesellen" dieser Zeit wie z.B. Trump, Orban, Kim und wer noch dazu kommen mag, auf die richtige Spur zu setzen? Muss der Regierungschef nicht auch in der Lage sein, Konflikte einzudämmen und den Frieden in der Welt zu sichern. Wäre ein erfolgreicher Europäer nicht der bessere Gegenentwurf zu Angela Merkels "weiter wurschteln" gewesen? 6. Martin Schulz hat nach seiner „Ausrufung“ eine bis dato nie gekannte Euphorie erreichen können. Er war der Hoffnungsträger für Veränderungen, für ein gerechtes Europa und für eine bessere Welt! In den ersten Monaten war Martin für viele junge, neue und hochmotovierte Menschen Antrieb sich zu engagieren – Martin Schulz war kurz davor eine eigene politische Bewegung zu werden. Warum diese Stimmung und Bewegung abgeebbt ist, und ob man sie wieder entfachen kann, müssen wir uns in den nächsten Wochen sehr genau anschauen. Die SPD muss selber wieder stärker Teil einer gesellschaftlichen Bewegung werden. In Frankreich und GB kann man beobachten, welche Ausstrahlungskraft diese Bewegungen erzielen können. 7. Lasst uns über den Tellerrand schauen. Aber nicht nur in die USA, die sind für Kampagnen immer das Maß der Dinge. Für Europa und Deutschland können die Lehren aus den USA nicht das einzige Benchmark sein. US-Strukturen, rechtlichen Rahmenbedingungen und Budgets sind für deutschen Wahlkämpfe gar nicht oder nur schwer übertragbar. Zum Handwerk muss es dazugehören, einen regelmäßigen Dialog mit Gewerkschaften, Grassroot Movements, Sportvereine und Kirchengemeinden, Verbände und Parteien in Europa aufzubauen - gemeinsam sollten wir viel voneinander lernen können! 8. Wahlkampagnen der SPD - auch erfolgreiche, wurden seit 1998 (den Zeitraum kann ich überblicken) nicht seriös ausgewertet. Aus Erfolgen und Fehlern wurden keine Konsequenzen abgeleitet. • Welche Zielgruppen wollen wir erreichen? Welche müssen wir erreichen, um mehrheitsfähig zu werden? Was beutet das für unser Spitzenpersonal und unsere Programmatik? • Welche Zielgruppen haben wir besonders mit unseren Themen und Personal erreicht, welche Zielgruppen erreichen wir so gut wie gar nicht mehr? • Welche Wahlkampfinstrumente sind besonders erfolgreich und müssen weiterentwickelt werden? Welche Instrumente müssen aufgrund von verändertem Kommunikationsverhalten verändert oder gestrichen werden? Gibt es für Kampagnen neue Formen, um Zielgruppen besser zu erreichen? • Für erfolgreiche Kampagnen sind eine verlässliche Planung und gutes Handwerk notwendig. Wurde das Handwerkzeug ausreichend verteilt und v.a. auch in der Fläche vermittelt? • Warum ist es der Union gelungen, trotz des „fast Absturzes“ nach der Spendenaffäre in der Nach-Kohl-Ära sich als moderne Volkspartei weiterzuentwickeln, die ihre Kampagnenziele im wesentlich erreicht? An Merkel allein wird es nicht gelegen haben. 9. Die Organisationskraft in den einzelnen Gliederungen ist positiv ausgedrückt, deutlich ausbaufähig und generell mit der Organisationskraft erfolgreicher Wahlen (1998,2005) nicht mehr zu vergleichen. Sowohl die hauptamtlichen Ressourcen sind deutlich weniger und schwächer geworden, wie auch die Zahl der Aktiven in den Ortsvereinen und Arbeitsgemeinschaften deutlich abgenommen hat. • Wie ist der Zustand der Parteiorganisation in der Fläche? Sind die Abläufe für die Kampagne, der gegebenen organisatorischen Wirklichkeit angepasst worden? • Können tradierte Parteirituale und Arbeitsformen auch für eine Mitgliederpartei mit ca. 450.000 Mitglieder noch aufrechterhalten werden? Die meisten Mitglieder treten in die SPD ein um dort aktiv mitwirken zu können. Können wir die SPD stärker zu einer ehrenamtlichen Organisation umbauen, die durch ihre Ideen und ihr Engagement die Partei leben und tragen (vgl. mit anderen großen freiwilligen Organisationen oder Sportvereinen!). Dafür müssen transparente und digitale Arbeitsformen entwickelt werden. Die SPD muss auch die digitale Partei in Europa werden. • Die SPD hat glücklicherweise wieder einige 10000 Neumitglieder aufgenommen, so viele wie schon lange nicht mehr! [13] Welche besonderen Möglichkeiten hatten die Neumitglieder sich in den Wahlkampf einzubringen? Wie ist die „Energieübertragung“ durch die vielen Eintritte direkt nach der Bundestagswahl in die Partei geplant? • Hat es eine Stärken- und Schwächenanalyse der einzelnen UB`s / Wahlkreise gegeben? Gab es daraus resultierende Unterstützungen und besondere Wahlkampfinstrumente für schwächere Regionen? • Gab es Schwerpunktwahlkreise die gewinnbar gewesen wären und daher besonders unterstützt worden sind? • Gab es „Kampfthemen“ und „Battle Grounds“ in denen die Konkurrenz besonders (mit Finanzen und Personal) gebunden und unter Druck gesetzt worden sind? • Gab es einen Sendeplan/-Konzept zur Information der Ehrenamtlichen? Wann und wer bekommt welche Informationen (auch Ehrenamtlichen müssen als Teil der Kampagne richtig und gut informiert und beteiligt werden). • In welchen gesellschaftlichen Dialogen / mit welchen Bündnissen ist die SPD vor Ort besonders/besonders gut verankert? Welche Zielgruppen erreicht die SPD besser, welche gar nicht mehr? • Jünger, weiblicher werden und wieder mehr Wählerinnen erreichen. Das wollen wir schon seit vielen Jahren. Personellen Antworten reichen alleine nicht. Vor allem Inhaltlich sind noch weitere Anstrengungen notwendig, Anregungen und Aufforderungen gibt es schon seit einiger Zeit [14] . Die Arbeitsweise in der Partei, wie z.B. die Frauen- und Familienfreundlichkeit bei Veranstaltungen, in Sitzungen und in der Sprache müssen auf jeden Fall deutlich verändern werden. • Das Verhältnis zu den Gewerkschaften hat sich entspannt. Das ist gut und wichtig! Aber haben wir es auch geschafft unsere Themen in die Betriebe und Verwaltungen zu bringen? Mit welchen neuen Initiativen / gesellschaftlichen Bündnisses haben wir in den letzten Jahren tragfähige Allianzen aufgebaut oder zu mindestens einen Dialog begonnen? • Für erfolgreiche Wahlen ist eine breite Unterstützung durch Kulturschaffende, Wissenschaftler_innen und weitere Multiplikatoren wichtig. Doch Mulitiplikator_innen unterstützen uns nicht nur einfach so! Auch sie haben Botschaften und Vorstellungen die wahrgenommen werden wollen. Hat es in den letzten Jahren aktive und offene Dialogformen mit Ihnen gegeben? Sind wichtige Impulse z.B. von Kulturschaffenden bei der Programmaufstellung und bei der Kampagnenplanung aufgenommen worden? • Wie kann die fehlende Basis- und Wähleranbindung von Abgeordneten die über Listen ins Parlament eingezogen sind, kompensiert werden? Welche Maßnahmen müssen entwickelt werden, die die SPD aus den „Hinterzimmern hin in das wirkliche Leben“ begleiten? Welche Arbeitsformen und Unterstützungen müssen entwickelt werden, damit Mandatsträger_innen und Funktionäre mehr den Dialog mit und in der Öffentlichkeit suchen? 10. Das Kommunikations- und Informationsverhalten hat sich in den letzten Jahren grundsätzlich verändert, dass wissen wir schon seit längerer Zeit. Dafür gibt es ausreichend Hinweise in Studien, das belegen die zurückgehenden Abo-Zahlen von Zeitungen und Magazinen, etc. Wir wissen, dass Menschen sich eher kürzer, durch Bilder/Clips intensiver und online informieren. • Sind Medienereignisse und Informationen für bzw. mit dem Spitzenkandidaten auf diese Veränderungen eingestellt gewesen? • Sind Terminpläne des Spitzenkandidaten und des Spitzenpersonals daraufhin überprüft worden? • Ist die Agenda der Kampagne und die Verzahnung mit den anderen sozialdemokratischen Akteuren (Kabinett, Landesregierungen und Fraktion) dieser neuen Logik angepasst worden? • Wird die Sprache und Erzählung (Framing) bei besonderen Reden und Ereignissen entsprechend eingesetzt und ist das Spitzenpersonal dafür sensibilisiert worden? • Wurden neue Formen von Visualität für die Kampagne berücksichtigt? 11. Schwerpunktsetzung wird auch organisatorisch die neue Herausforderung sein. Wahlniederlagen, insbesondere so schmerzhafte, führen auch dazu, dass das finanzielle Gerüst der Sozialdemokratie schmaler werden wird. Das gilt für die Stiftung, die Fraktion und auch die Partei -nicht nur im Bund, sondern auch in den Landesverbänden und Wahlkreisen/Unterbezirken. Die strukturelle Mehrheitsfähigkeit ist seit vielen Jahren verloren gegangen. Bei dieser Wahl waren die Ergebnisse allerdings in weiten Teilen der Republik so dramatisch wie noch nie. Der Handlungsdruck, durch umfassende Veränderungen der Organisation den Niedergang zu stoppen, ist enorm! • Welche Maßnahmen und Strategien müssen zum Neuanfang in Ost-, Südwest- und Süddeutschland entwickelt werden? Es müssen sicherlich unterschiedliche sein, das gibt schon allein der Wahlkalender der kommenden Jahre vor. Die Einrichtung je eines Referats Ost, Süd und Südwest beim Parteivorstand wird sicherlich nicht ausreichen. Der Rückzug aus einigen Regionen kann allerdings auch nicht die vernünftige Antwort sein. In einigen Bundesländern muss es wahrscheinlich in besonders schwachen Regionen um einen wirklichen Neuaufbau gehen. • Neue Strategien für die Vitalisierung von besonders schwachen Landesparteien [15] müssen aufgegriffen und umgesetzt werden. Das wird eine besonders schwierige Herausforderung, die zur Erlangung der strukturellen Mehrheitsfähigkeit von großer Bedeutung ist. Ohne Unterstützung und die Kooperation mit erfolgreichen kommunalpolitischen Gliederungen wird es nicht gelingen. • Welche Bedeutung können neue Formen von eher unabhängigen regionalen Landesparteien für den Neuanfang der SPD im Bund haben? Oder muss der Neuaufbau zentral gestaltet und verantwortet werden? 12. Die Welt ist definitiv komplizierter geworden, Zusammenhänge, Probleme und Lösungen können nicht immer in einem oder zwei Hauptsätzen beschrieben werden. (vielleicht ging das noch nie). • Wie kann aus einem umfassenden Programm eine zugespitzte - gut zu erzählende Bildergeschichte werden? • Wie bekommen wir aus einem bunten Strauß guter Themen, die Zuspitzung von drei bis fünf überzeugenden Themen? • Wenn meine Erinnerung nicht trügt, haben wir in den letzten vier Jahren v.a. intensive Debatten und Konflikte über die Zustimmung zum TTIP/CETA und die Vorratsdatenspeicherung ausgetragen. Alles wichtige Themen, keine Frage. Aber waren das die sozialdemokratischen Kernthemen, die unsere Wählerschaft, die Freunde der SPD, die Bündnispartner und Mitglieder bewegen? Konflikte, intensiv und solidarisch geführte Debatten und die Suche nach zukunftsfähigen Antworten gehören zur SPD. Sie machen uns erkennbar, sie qualifizieren die Mitglieder und Mandatsträger. Gute Antworten für die Zukunft machen die SPD erfolgreich. Grandios , wir Niedersachsen haben eine gute Regierung gewählt und die SPD in Niedersachsen noch stärker gemacht. Es darf jetzt auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass die SPD bundesweit schon über dem Berg sei und alles von alleine wieder gut wird. Die SPD in Niedersachsen ist im Vergleich zum Bund etwas anders aufgestellt. Traditionell starke städtische und auch ländliche Regionen, haben m.E. dazu beigetragen, die SPD in Niedersachsen bodenständig und heimatverbunden bleiben zu lassen. Die Medienlandschaft in Niedersachsen ist im Vgl. zu vielen anderen Bundesländern und im Bund überschaubar und stärker regional/ lokal geprägt. Sowohl organisatorisch wie auch personell ist die SPD NDS deutlich besser aufgestellt als die vergleichbaren anderen Länder. · Die Lehre „Nach der Wahl ist vor der Wahl“ wird in Niedersachsen seit 2008 konsequent angewandt. Die aktuelle Kampagne wurde schon vor 24 Monaten (unabhängig von dem neuen Wahltermin) vorbereitet. · Die Landespoltitk hat in den letzten Jahren viel Energie in eine dialogorientierte Politik investiert. Das Integrationsbündnis „Niedersachsen packt“ in dem nahezu alle gesellschaftlich-relevanten Organisation und kleinste Flüchtlingsinitiativen zusammengearbeitet haben, ist sicherlich das prominentes und erfolgreichste Beispiel. · Die Landespolitik hat ganz gezielt Maßnahmen auf den Weg gebracht, die die Lebenssituation in den von der schwarz-gelben Landesregierung abgehängten ländlichen Regionen, nachweislich verbessert hat. Der Gewinn vieler Direktwahlkreise in diesen Regionen ist quasi die Dividende der erfolgreichen Regionalpolitik der Landesregierung. · Die „klassischen Schwächen“ sozialdemokratischer Landesregierungen z.B. bei der Finanzpolitik und bei der inneren Sicherheit, konnten durch überzeugende Minister und überzeugende Politik durch die Opposition nicht für ihre Wahlkampagne genutzt werden. · Industrie, Mittelstand, Handwerk und auch die Arbeitnehmer in Niedersachsen haben von der dialogorientierten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Landesregierung profitiert. · Der Ministerpräsident war deutlich überzeugender, sympathischer und aktiver als der Bewerber der CDU. · Ohne den engagierten Wahlkampf der Landespartei, der Gliederungen, jeder einzelnen Wahlkreiskandidatin, jedes einzelnen Wahlkreiskandidaten und v.a. des Spitzenkandidaten wäre der Erfolg nicht denkbar gewesen. · Das Versprechen, mehr in die Zukunft und bei der Bildung und Infrastruktur zu investieren, waren die überzeugenden Perspektiven, wodurch die SPD wieder mehr Wähler_innen erreichen konnte. · Das Ergebnis der Bundestagswahl und die anstehende Schwampel im Bund, hat zu größeren Mobilisierungsproblemen bei der CDU, FDP und den Grünen geführt. · Die CDU hat eine auf den Kandidaten zugespitzte Kampagne präsentiert: Überraschungsarm, einfallslos und langweilig. In diesem Sinne gilt für die SPD im BUND: Umschauen, sammeln und vorwärts! [1] Das sind erstmal alle, die die Überzeugung haben, dass eine starke Sozialdemokratie benötigt wird. Vor allem sind es die Mitglieder, die Wähler_innen, das wissenschaftliche -, kulturelle- und gewerkschaftliche Vor- und Umfeld. Es sind enttäuschte Nichtwähler zu denen wir den Kontakt und die Bindung verloren haben. Es sind auch Bündnispartner mit denen wir in den letzten Jahren zu wenig kooperiert haben, oder Initiativen die wir gar nicht oder kaum wahrgenommen haben! Kurz: Alle, die auf einen gesellschaftlichen Wandel und kulturellen Aufbruch durch die SPD hoffen und von uns erwarten. [2] Clueso, aus Liedtext Neuanfang [3] „70 Jahre nach Kriegsende sitzen wieder Neonazis im Bundestag“ sagte Asselborn am 24.September 2017 bei dpa [4] 17% der ehemaligen SPD Wähler, und damit fast doppelte so viele wie zu der AfD gewechselt sind, haben 2017 die Linkspartei gewählt. Infratest, Die Zeit vom 24.09.2017 [5] Jeder dritte (34%) FDP Wähler hat 2013 die Union, 26 % waren Nichtwähler und 12 % haben die SPD gewählt. FGW 24.09.2017 im ZDF [6] 18 %, d.h. fast jeder Zweite Grünwähler, hat 2013 SPD gewählt! Infratest, Die Zeit vom 24.09.2017 [7] Nur die FDP verlor 2013 mit 9,8% etwas mehr. [8] Vgl Tabelle im Text [9] Laut August Wilhelm Schlegel (gestorben 1845) ist eine Komödie ein Drama mit erheiterndem Handlungsablauf, das in der Regel glücklich endet . Wikipedia [10] Bei der ersten Europawahl 1979 erreichte die SPD mit dem Spitzenkandidaten Willy Brandt 40,8% und damit ihr bestes Europawahlergebnis. [11] Franz Müntefering [12] Johannes Raus Hinweis für Besserwisser: „Öffentliche Ratschläge können auch Schläge verstanden werden“. [13] Vergleiche Tabelle oben im Text [14] Z.B. das Netzwerk Frauenzeiten www.frauenzeiten.de und die Anregungen der „Springer Runde“ [15] vgl. Tabelle im Anhang